
„Schnell, komm! Komm her!“, sagte Madeleine zu ihrer Freundin Franziska, als sie auf Besuch bei ihr im Waldviertel war.
„Schnell, komm her!“ – es war mitten in der Nacht und Franziska wollte nichts sehnlicher als schnell zurück ins warme Bett.
Kurz aufs Klo.
Händewaschen.
Wieder unter die Bettdecke.
Und warum war Franziska mitten in der Nacht wach?
„Schnell, komm! Komm her!“
Franziska schnappte sich notdürftig ihre Weste, die am Fußende des Bettes lag, schlüpfte in die ausgeborgten Filzschlapfen und stapfte müde, grantig und unmotiviert Richtung Balkon, auf dem Madeleine bereits auf sie wartete.
„Schnell, komm! Komm her!“
„Ich bin ja daaaaaa“, hätte Franziska gerne gesagt.
Aber so viel weiß sie: das tut man als höflicher Gast nicht.
„Ja, bitte, was gibt es denn!“
„Schau“, flüsterte Madeleine beinahe zärtlich.
Und weil Franziska nicht gleich reagierte und ein wenig verdutzt dreinschaute schoss sie „Na schau doch“ nach. Und zeigte mit ihrem Finger nach oben.
Und da schaute Franziska!
Der klare Winterhimmel präsentierte der Freundin aus der Stadt ein Himmelszelt und eine Sternenpracht, die ihr so in ihrem ganzen Leben noch nicht zu Gesicht kam.
Und so stand Franziska da: frierend, müde, aber überwältigt und sprachlos vom Anblick, der sich ihr bot.
Das Jahr 2022 haben die Evangelischen Kirchen in Österreich zum Jahr der Schöpfung erklärt. Und als Gemeinde beteiligen wir uns gerne. Der diesjährige Konfirmand:innen-Kurs unter dem Motto „Lebst du noch oder staunst du schon?“ beschäftigt sich regelmäßig mit dem Thema. Die Projekte, die wir als Messiaskapelle für 2022 geplant haben, greifen dieses Thema auf. Und auch unser Neujahrsgottesdienst ist der Schöpfung gewidmet.
Wäre es nicht so eisig kalt, Franziska würde vermutlich noch heute am Balkon stehen und die Sternenpracht bestaunen.
Aber auch zurück im kuscheligen Bett ließ sie das Gesehene los.
„Wie groß ist der Himmel und wie klein bin ich“, dachte sie noch, ehe sie einschlief.
Staunen! Der Duden: mit großer Verwunderung wahrnehmen, über etwas sehr verwundert sein, sich beeindruckt zeigen und Bewunderung ausdrücken, im 18. Jahrhundert aus dem Schweizerischen in die Standardsprache gelangt, schweizerisch stūnen (Anfang 16. Jahrhundert), eigentlich = erstarren, wohl zu stauen.
„Wie groß ist der Himmel und wie klein bin ich“, dachte Franziska nach dem Blick in den Himmel demütig. Und wie begegnest du der Schöpfung?
Wie begegnen Sie der Schöpfung?
Nicht nur die Schönheit dieser Welt kann uns zum Staunen bringen. Die Umweltvernichtung, die Naturkatastrophen, der schonungslose Umgang mit den natürlichen Ressourcen, die Versiegelung des Bodens, die permanente Lichtverschmutzung, das Artensterben – darüber kann man nur verwundert sein!
In der Lesung haben wir den wunderbaren Schöpfungsbericht aus dem 1. Buch Mose gehört – vom inneren Grund der Weltentstehung.
Und im Glaubensbekenntnis haben wir anschließend gemeinsam bekannt:
„Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde.“
Über die Schöpfung nachzudenken, über den äußeren und inneren Grund der Weltentstehung zu theologisieren und zu überlegen, inwiefern unsere Welt und alles, was uns umgibt, eine creatio ex nihilo – also eine Schöpfung aus dem Nichts – ist, bringt Köpfe zum Rauchen und ist eine wunderbare Sache.
Freilich, den Rahmen einer Predigt, gerade auch zu Coronazeiten, würde es sprengen.
Aber wir haben ja ein ganzes Jahr Zeit.
Franziskas Blick in den Waldviertler Wintersternenhimmel hat sie zum Nachdenken, zum Staunen, zum Philosophieren gebracht.
Zu Martin Luthers Zeiten war Lichtverschmutzung ein Fremdwort und der Anblick der Sterne zumindest nicht ungewöhnlich.
Aus seinen Worten – mit denen diese Predigt schließt – spricht trotzdem das Staunen über Gott, seine Schöpfung und seine Güte.
Martin Luther, Kleiner Katechismus:
Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde.
Was ist das?
Ich glaube, daß mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen, mir Leib und Seele, Augen, Ohren und alle Glieder, Vernunft und alle Sinne gegeben hat und noch erhält;
dazu Kleider und Schuh, Essen und Trinken, Haus und Hof, Weib und Kind, Acker, Vieh und alle Güter;
mit allem, was not tut für Leib und Leben, mich reichlich und täglich versorgt, in allen Gefahren beschirmt und vor allem Übel behütet und bewahrt;
und das alles aus lauter väterlicher, göttlicher Güte und Barmherzigkeit, ohn all mein Verdienst und Würdigkeit:
für all das ich ihm zu danken und zu loben und dafür zu dienen und gehorsam zu sein schuldig bin.
Das ist gewißlich wahr.
Amen
Hinweis: die Predigt gibt es hier zum Nachhören